Inszeniertes Antiheldentum in antimärchenhafter Kulisse

Inszeniertes Antiheldentum in antimärchenhafter Kulisse

In meinem heutigen, eigentlich wirklich ersten Blogeintrag, möchte ich das Lied Antimärchen des Wuppertaler Rappers Prezident etwas näher beleuchten.


                                                                   -EQUIPMENT-

Lied:                                  Prezident- Antimärchen (prod. v. Bojanglez)

                                         https://www.youtube.com/watch?v=xdwdYpTxDqs


Liedtext:                                      
                                       http://rap.genius.com/Prezident-antimarchen-lyrics

 Ein Antimärchen um Prezident

Bereits in der ersten Szene fällt auf, dass Prezident hier an ein anderes Lied seines aktuellen Albums "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" anknüpft, denn das Video zu "Antimärchen" fängt da an, wo das zu "Succubus" aufgehört hat.
Inhaltlich knüpfen die Texte aneinander an: In "Succubus" beschreibt der Rapper die Hassliebe, die (Sehn-) Sucht, die Probleme,..., also kurz gesagt die Beziehung seines lyrischen Ichs zur Kunst, welche in "Succubus" von einer Frau verkörpert wird. In der letzten Szene sieht man schließlich, wie die Kunst, welche bis zu dem Zeitpunkt immer in der Nähe dessen war, sich letztendlich mit einem Anderen davonmacht und der allein zurückgelassene Protagonist sich dem Alkohol hingibt, sodass er vor dem Restaurant bzw. der Kneipe in dessen Inneren sich die Szene zugetragen hat, nächtigt.
Nach einer Nacht, die offensichtlich nicht sehr erholsam war, wird Prezident unsanft von einem Angestellten des Etablissements aus seinem Schlaf gerissen, woraufhin man bereits den Beat von Bojanglez
zu hören beginnt.
Prezidents Stil und Erscheinung erwirken den Eindruck einer Trostlosigkeit, eines Endzeitszenarios, eines "sprechens, um sich von Dämonen oder bösen Geistern zu befreien". Im Bezug auf "Succubus" erzählt der Interpret hier eine vielleicht nachvollziehbare Geschichte, welche er mit seiner "Geliebten", der Kunst, erlebt hat, wie sie ihn geprägt hat und wie sie ihn auch heute noch beeinflusst.

Der Begriff "Antimärchen" wurde durch Georg Büchners Drama "Woyzeck" geprägt. Womöglich ist dieses Drama das erste literarische Stück, welches einen Antihelden, einen von der Gesellschaft getriebenen und geplagten Protagonisten, der im Gegensatz zu klassischen Helden steht, beinhaltet. Ferner, in der Szene "Waldsaum am Teich" erzählt die Großmutter ihren Enkeln eine abgewandelte Version des Märchens Sterntaler, welches entgegen der Tradition kein gutes Ende hat. Büchner verwendet bewusst diese abgewandelte Version, um dem Leser seine Intention über eine kaputte Welt in der es kein "happy ending" mehr gibt so deutlich wie möglich zu machen.

Wenn man den Inhalt des Liedtextes nun mit der vorherigen Definition eines Antimärchens vergleicht, dann lässt sich eine Hauptthese aufstellen:
Prezident gibt sich in diesem Lied als ein Getriebener, quasi ein Antiheld, der nur gezwungenermaßen das sagt, was er auch meint, denn im Songtext heißt es:

                                      "Man sagt, dass ich über Talente verfüge/

                                       Und irrt, denn ich verfüge nicht darüber, sind/

                                       Herz und Seele voll, läuft der Mund über"

Weiterhin erzeugt die Kameraeinstellung, Prezidents Mimik und Gestik und seine Betonung eine Art mystische Aura, die regelrecht zum zuhören zwingt. Es ist aus meiner Sicht nun berechtigt, bei diesem Lied von einem Antimärchen zu reden. Bleibt nur noch zu erwarten, welche Tracks folgen, Mr. Prezident!

Philosophie UND Rap?

Deutschrap ist vielen noch als "Prolorap" im Sinne eines Bushidos, eines Kollegas, eines Farid Bangs und vieler namhaften Interpreten bekannt. Texte geprägt von sinnloser Gewalt und Selbstverherrlichung der Rapper unterlegt mit dicken, basslastigen Beats mögen ja für "den hohlen Zahn" ganz gut sein, doch wenn man nach Texten mit tieferen Aussagen sucht, ist man in der Wuppertaler Rapszene auf jeden Fall an der richtigen Adresse.

                                         "mir tun die Füße weh vom auf der Stelle treten/
                                          Zum Glück ist dieses Leben nur vorrübergehend"

Man erkennt in vielen Aussagen dieser Rapper einen Hang zur Selbstzerstörung, zum Depressiven und zum eher makaber-ernsten, doch gerade Passagen wie diese lassen mich über meine Situation nachdenken. Geht es nicht jedem einmal so, dass man das Gefühl hat, im Leben nicht weiterzukommen und man somit gezwungenermaßen über DAS Ende nachdenkt? Mag ja sein, dass man dann wiederum sagen kann, dass diese Texte nur in der entsprechenden Stimmung ihre volle Wirkung zeigen, doch dies ist keineswegs so engstirnig zu betrachten. Wenn man genauer hinhört fallen einem die vielen Namen bekannter Wissenschaftler, Schriftsteller und Philosophen auf, auf deren Thesen und Zitate Prezident oft Gedanken, Anstöße und Anspielungen aufbaut. In "Antimärchen" wird explizit auf Pierre Felix Bourdieu bezogen, ein französischer Soziologe, dessen Hauptwerk den Titel "Die feinen Unterschiede" trägt. Dieses Werk handelt von dem Einfluss der Zugehörigkeit einer sozialen Schicht eines Menschen dessen Handlungsweise. (Näheres dazu siehe den Wikipedia-Eintrag [1]).

                                       "Stetig unzufrieden, ich gab mich niemals ab mit grundsolide/
                                        Wie Bourdieu auf der Suche nach den feinen Unterschieden"

In Zeilen wie diesen werden Interessierte nahezu aufgerufen, sich über die Intention dieser Aussage Gedanken zu machen. Die ersten Fragen sind hier oftmals:

1. Wer ist dieser Bourdieu? (diese Frage ist bereits geklärt)
2. Was meint Prezident damit? (diese Frage wird noch geklärt)

Der Wuppertaler spielt hier gekonnt auf den Inhalt des Buches an: Bourdieu suchte nach den "feinen Unterschieden" des menschlichen Handelns abhängig ihrer sozialen Verhältnisse und in derartiger Manier feilt Prezident an der Art seines Auftretens und seines Stils, im Bezug auf den Songtext: seiner Kunst.
Weiter im Text:

                                      "Nach dem, was nicht direkt ins Auge sticht/
                                       Im Übrigen ist gar nicht so sehr was ich sage, sondern wie ich's rüberbring'"

Nach einer gelungenen Verknüpfung des Inhaltes dieser und der obigen lines liest man quasi, was hier beschrieben wird: der Stil des Rappers ist der Blickfang, die Intention der Teil, der erst mal gefunden werden muss, was nur mit näherer Beschäftigung geht.

Allein diese vier Zeilen stellen einen nur ein Beispiel des nahezu endlos wirkenden lyrischen Genies des Prezident dar. Müsste ich alle lines aufzählen, würde der Blogeintrag ein Stückchen länger sein. Lasst euch von seiner Sicht des Lebens inspirieren und auch wenn er mal nicht eure Meinung vertritt, so regt er doch zum Nachdenken an.


Der Rapper beeindruckt durch sein Auffallen in einer Prolo-dominierten Szene und zeigt, dass Deutschrap auch anders kann. Sein inszeniertes Antimärchen mit ihm in der Hauptrolle ist dafür ein gutes Beispiel.

Abschließend bleibt zu sagen, dass ich versuchen werde, möglichst diesen Blog möglichst regelmäßig zu updaten und mit neuen Texten zu füttern, Prezident wird sich wahrscheinlich noch öfter in Einträge rappen.

Macht's gut!


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[1]  http://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu